Mit fantastischem Wetter und gutem Gemüt führte es mich letzten Samstag auf den Jerusalem-Friedhof am Mehringdamm nähe meiner Wohnung. Ich habe gehört, das Grab von Mendelssohn Bartholdy sei dort anzufinden. In Japan eine wohlbekannte, kulturelle Größe.
Auf meinem Weg dort hin fiel mir u.A ein Grab auf, dass mich hellhörig werden ließ. Und siehe da: Es war die Ruhestätte von E.T.W Hoffmann, (voller Name: Ernst Theodor Amadeus Hoffmann), der sich u.A als bekannter Autor, Jurist, Zeichner und Komponist verdient gemacht hat.

Zwei seiner Werke, die Novelle „Das Fräulein von Scudery“ und das Gedicht „Wo gehst du hin“ hat Ogai nämlich 1889, unmittelbar nach seiner Rückkehr in die Heimat ins Japanische übertragen. Was mag ihn an der Erzählung gereizt haben? Das Cardillac-Syndrom?….

Das Cardillac-Syndom

Cardillac (Einer der Hauptdarsteller des Stücks) kann den Gedanken, dass er seine Schmuckstücke nicht für sich behalten kann und andere seinen Schmuck anlegen dürfen, nicht ertragen.
So tötet er die Käufer kurzerhand, um den Schmuck wieder zu erlangen und ihn dann in einem verborgenen, nur durch eine Geheimtür zugänglichen Gelass nur für sich allein zu genießen.
Darin offenbart sich seine gesellschaftliche Schwäche: Indem er bis zum Mord geht, um sein Werk nicht mit der Allgemeinheit teilen zu müssen, zieht er die extreme Konsequenz seiner Eigensucht.
Ein bisschen erinnert mich diese Verhaltensweise an ein bemitleidenswertes Wesen aus Herr der Ringe.

Der künstlerische Phantomschmerz

Künstler müssen, um von ihrer Kunst leben zu können, ihre Werke verkaufen, das heißt, sie müssen sich von ihnen trennen. Doch das fällt ihnen mitunter schwer, da ihre Kunst einen wichtigen Teil ihrer Identität darstellt.
Schon Goethes Tasso durchlebte eine handfeste Identitätskrise, da er sich von seinen dichterischen Werken nicht lösen konnte. Moderne Künstler nutzen da schon zivilisiertere Methoden, wie zum Beispiel Erwerbslisten oder sie halten vertraglich fest, dass sie das Kunstwerk stets besuchen und ändern dürfen.
Selbst Psychologen sprechen in diesem Zusammenhang in Anlehnung an E. T. A. Hoffmanns Novelle vom Cardillac-Syndrom.
An die Kreativen unter euch: Kennt ihr dieses Gefühl? Könnt ihr euch auch schwer von etwas trennen? Wohnt auch in euch ein kleiner Cardillac?
Zu meinem erneuten Verblüffen bin ich dann noch auf das Grab eines gewissen Herrn Shinichi Sato gestoßen. Leider schon etwas überwuchert. Wer er wohl gewesen sein mag?
Ogais Übersetzungseifer, der 1889 ausbrach, war Sinnbild für die gesamte Zeit in der er lebte. Übersetzungen europäischer Literatur brach sich über das gesamte Land und inspirierte viele Intellektuelle, es Ogai gleich zu tun. Wie eine kleine literarische Pandemie.
Bis bald!

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